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vom 18. Oktober 2025 für die 43. Woche
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Das Quiz • Andere Zeiten erleben • Eine Frage, Herr Weinreich ... • Leserinnenbild • Lied der Woche • Rückspiegel • Der andere Ort
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Liebe Leserin, lieber Leser,
eigentlich bin ich ein friedlicher Mensch. Denk ich mal. Aber dann gibt es so Tage. Vielleicht kennen Sie das ja. Der Schlaf ist zu kurz, der Frühstückstee zu dünn, die To-do-Liste zu lang – und vor allem diese anderen Menschen! Es gibt so viele von denen. Überall trifft man auf welche. Die wenigsten funktionieren so wie sie sollen. An solchen Tagen sollte man einfach zuhause bleiben und Netflix-Serien schauen. Die Welt wäre ein friedlicherer Ort.
Geht aber nicht immer. Ich strampele also los auf meinem 7-Gang-Herrenrad, bei dem an guten Tagen nur drei Gänge wirklich funktionieren. (Hab ich schon erwähnt, dass das bisher kein guter Tag war?) Auf dem Kopf der viel zu eng eingestellte Fahrradhelm, an der Seite die viel zu vollgestopfte Fahrradtasche. (Hab ich meinen Proviant für die Mittagspause in der AZ-Redaktion denn noch eingepackt oder nicht?). Und dann? Na typisch – gerade als ich an der Steigung auf der Hauptstraße halbwegs in den Tritt gekommen bin, schaltet die Ampel auf Rot. Rot ist ja eigentlich eine schöne Farbe, eine Farbe der Liebe. Diesmal nicht.
Ich fahre rechts an der Blechkarawane mit ihren laufenden Motoren und ihren Abgasen vorbei – bis zur Haltelinie für die Linksabbieger, stelle mich gut sichtbar vor einen Smart, der ebenfalls links abbiegen will und auch warten muss. Und dann geschieht es – das Unfassbare! Der Smart-Fahrer – er hupt mich an! Er! Hupt! Mich! An! In einer Parallelwelt, an einem anderen Tag, mit mehr Schlaf, stärkerem Tee, kürzeren To-Do-Listen, ja in 999 von 1000 Fällen wäre ich nicht vom Fahrrad gestiegen, hätte weder den nachfolgenden Verkehr blockiert noch mich mit bebender Stimme zum inzwischen heruntergelassenen Seitenfenster des Smarts gebeugt. Ich hätte den kleinen Huper weggelächelt, vielleicht sogar entschuldigend gewunken. Aber heute nicht. »Fiat iustitia et pereat mundus« (Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde.) Da die Ampel aber längst wieder Grün zeigt und der Rest der Welt nicht noch eine Ampelphase warten will, beenden der Smart-Fahrer und ich unseren Meinungsaustausch mit kurzen Abschlussstatements: »Dumme Aktion!«, »Es ist nicht zu glauben! Nicht zu glauben!« Zunächst.
Der Smart verschwindet hinter der Kurve, ich strample hinterher. Als ich um die Ecke biege, steht er da, daneben ein 1,90-Hüne, der erkennbar auf mich wartet. Okay, denke ich, dann eben mit Fortsetzung. (Nächstes Mal lass ich den Tee länger ziehen.) Zum Duell muss ich aber zumindest diesen albernen Fahrradhelm absetzen.
Und dann hält mir der Smart-Fahrer doch tatsächlich zur Begrüßung die Hand hin! Nein, nicht als Friedensgruß oder Versöhnungsgeste, eher als eine aus der Mode gekommene zivilisatorische Symbolhandlung, denn er erklärt mir gleich wieder, was ich angeblich falsch gemacht habe an der Ampel. »Eine dumme Aktion!« Und ich halte vehement dagegen. »Sie liegen falsch!« Seltsamerweise bessert sich aber meine Stimmung deutlich. »We agree to disagree« (Wir sind uns einig, uneinig zu sein), so hat das der Theologe John Wesley vor über 250 Jahren mal ausgedrückt. Damals ging es um christliche Dogmen, bei mir nur um das Verhalten vor roten Ampeln. Wir trennen uns ohne Sieger, jeder glaubt weiterhin, dass er mit seiner Meinung recht hat – und wahrscheinlich könnte man sogar irgendwo nachlesen, wer richtig liegt. Aber egal, ich kann es mir nicht verkneifen, den Smart-Fahrer verbal zumindest ein bisschen zu umarmen: »Danke, dass Sie noch mal angehalten haben!«
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche!
Ihr
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Axel Reimann Redakteur Andere Zeiten e.V.
PS: Es stellte sich heraus, dass der Smart-Fahrer vermutlich nicht ganz unbedarft in Fragen des Straßenverkehrs sein könnte. Er ist angeblich Fahrlehrer. Aber das sagen viele.
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DAS QUIZ
Wofür stehen die elf Flammen im Wappen der Stadt Köln? A. Für den ersten Kölner Karnevalsumzug, der elf Wagen hatte. B. Sie erinnern an das erste Gedicht in der »Elfchen«-Form, das bei Ausgrabungen gefunden wurde. C. Sie stehen für 11 000 Jungfrauen, die der Legende nach vor den Toren Kölns ermordet wurden. D. Sie stehen für die Startelf des 1. FC Köln.
(Für die Auflösung ganz nach unten scrollen)
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IM GESPRÄCH
Eine Frage, Herr Weinreich ...
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Viermal am Tag öffnet sich das Tor zum Netzkloster. Menschen aus unterschiedlichen Städten und Ländern treten ein. Allerdings nicht durch eine schwere Pforte, sondern per Zoom. Sie hören Bibelworte, sitzen 20 Minuten in Stille und gehen nach einem Segen wieder auseinander. Simon Weinrich und sein Team wagen ein Experiment: Übertragen sich Spiritualität und Gemeinschaft auch über digitale Kanäle? Herr Weinreich, anders als in einem klassischen Kloster gibt es bei Ihnen keine Mönche oder Nonnen. Wie gestaltet sich die Gemeinschaft im Netzkloster? Wir leben eine undogmatische Spiritualität, weshalb sich immer wieder neue Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Konfessionen bei uns versammeln. Es geht vor allem um das gemeinsame Üben und die stille Zeit miteinander. Anders als in einem Kloster gibt es keine verpflichtende Bindung. Wer möchte, kann sich aktiv einbringen und zum sogenannten »Raumhalter« werden, um selbst Meditationen anzuleiten. Wie wird Spiritualität über das Internet transportiert? In unseren Meditationen haben wir die Kamera an, sodass man sich sieht. Auch wenn viele ihre Augen schließen, macht es doch einen Unterschied zu wissen, dass andere Menschen in diesem Moment dasselbe tun. Das ist ein wichtiger Unterschied zu Meditations-Apps oder ähnlichem. Über unsere App bleiben wir als Gemeinschaft verbunden, tauschen uns aus und begleiten uns gegenseitig. Neue Menschen sind jederzeit willkommen – ob für kurze Zeit oder länger. Durch unser Abo-Modell gibt es lediglich eine Verbindlichkeit finanzieller Art. So ist unsere Community bunt gemischt und offen. Einmal im Jahr gibt es einen Übungstag in Präsenz und hin und wieder Workshops, etwa bei kirchlichen Konferenzen. Unser Kern bleibt aber bewusst digital: So können wir über Grenzen hinweg verbunden sein. Ist das die religiöse Praxis des 21. Jahrhunderts? Der Schatz der kontemplativen Tradition lässt sich über digitale Kanäle bequemer und individueller in den Alltag vieler Menschen integrieren. Für viele ist es eine große Hilfe, eine feste Uhrzeit zu finden, die sie regelmäßig einhalten können. So entsteht eine gewisse Regelmäßigkeit. Unser Projekt haben wir während der Pandemie angefangen. Aber auch nach Corona scheint unser Netzkloster ein Bedürfnis der Menschen zu stillen: Sie möchten Andachten in ihren Alltag integrieren. Viele schaffen es nicht allein, mit einer App oder einem Youtube-Video. Es braucht eine Gruppe, eine Gemeinschaft, die einen trägt. Ein besonderer Vorteil ist, dass sich die Teilnehmenden in der Vertrautheit ihres eigenen Zuhauses eine »Klosterzelle« einrichten können, um ungestört in die Stille einzutauchen.
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LESERINNENBILD DER WOCHE
»Friedenstaube«
DANK AN SUSANNE HERTLEIN
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ANDERE ZEITEN ERLEBEN
Lachen und staunen, basteln, lesen und spielen – der Andere Advent für Kinder begleitet Mädchen und Jungen im Grundschulalter durch die Adventszeit. Die Sonntage widmen sich wie Der Andere Advent für Erwachsene dem Thema Schätze, im Zentrum stehen die Schätze der Menschheit. Mehr zu unserem Kinderkalender erfahren Sie hier.
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Unter anderem aus dem Saarland und Schleswig-Holstein, aus Tübingen, Berlin und Köln waren sie angereist – mehr als 20 Leserinnen und Leser aus ganz Deutschland hatten wir am vergangenen Samstag zur ersten Redaktionskonferenz des Anderen Advent 2026/27 in unserem Redaktionshaus zu Gast. Es war ein toller Tag! Wir sind dankbar für Beiträge und Ideen, für intensives gemeinsames Nachdenken und ganz viel Lachen.
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LIED DER WOCHEWas wir einander sein können – ein Lied mit Sommervibes für das ganze Jahr: Wind unter den Flügeln von Dota Kehr.
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DER ANDERE ORT JESUS IN AICHTAL
VON CLAUDIA DEMEL
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Schon seit etlichen Jahren fahre ich einmal wöchentlich mit dem Fahrrad dieselbe schöne Strecke durch Wiesen, kleine Dörfer, Wald und auch einen recht steilen Abschnitt ins Aichtal südlich von Stuttgart hinunter.
Als ich eines frühen Morgens mit ordentlichem Tempo aus dem Wald düste, sah ich ihn zum ersten Mal – schon von Weitem mit ausgebreiteten Armen, durchsichtig und dennoch ganz klar im weißen Gewand. Durch seinen Körper hindurch konnte man die Häuser des Ortes Aich auf der anderen Talseite sehen. Als ob er sie segnen wollte. Und als ob er mich, die Natur um mich herum, ja den ganzen Erdball segnen wollte. Konfirmanden aus Aich-Neuenhaus hatten ihm dort nicht nur eine Bleibe, sondern allen Vorbeikommenden auf einer Plakette einen Text mit einer schönen Botschaft mit auf den Weg gegeben. Ob die Konfirmanden ahnen, dass sie meinen wöchentlichen Weg so sehr bereichert haben?
Welche Orte erfahren Sie als Glücksorte, Kraftquellen oder Trostplätze? Welche Orte, an denen sich anderes ereignet, begegnen Ihnen auf Reisen oder im Alltag? Wir möchten in dieser Rubrik gern Ihre Orte veröffentlichen: Schicken Sie uns bitte ein Foto mit genauer Ortsangabe an newsletter@anderezeiten.de und schreiben Sie uns ein paar Zeilen dazu, was diesen Ort für Sie besonders macht.
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RÜCKSPIEGEL
Kirsten Westhuis erzählte im vergangenen Newsletter von Gesten der Mitmenschlichkeit, die sie in der S-Bahn erlebt hatte.
Dazu schrieb uns Anne Noll: Ich war mit meinem Sohn im Sommer in Hamburg, da war er elf Jahre alt. Und wir als Landpomeranzen kannten das mit der Obdachlosigkeit nicht so. Als uns der Erste in der S-Bahn anbettelte, habe ich auch weggeschaut – und es fühlte sich nicht gut an, denn ich fühlte den fragenden Blick von meinem Jüngsten von der Seite. Er fragte: Warum bettelt der? Und ich sagte: Weil er nicht arbeitet. Vielleicht braucht er was zu essen. Vielleicht auch nur Geld für Alkohol oder andere Drogen. Mein Sohn darauf: Aber wir wissen es nicht, wofür er das Geld will? Ich: Nein, das wissen wir nicht. In den nächsten Tagen erbat sich mein Sohn akribisch jedes Münz-Rückgeld von mir, steckte es auch nicht ins Portemonnaie, sondern lose in die Jackentasche. Und bei jedem Bettler der Stadt, ob auf dem Boden sitzend, musizierend oder in der S-Bahn den Pappbecher hinhaltend, legte er mit Stolz eine Münze hinein. Ich habe etwas gelernt in diesem Urlaub. Hildegard Kuhn berichtete: Ja, es ist jedes Mal ein innerer Kampf, wenn mittellose Menschen Unterstützung erbitten. Und klar – jedem und jeder kann ich nicht helfen. Deswegen finde ich es eine gute Möglichkeit, die Pfandbons im Getränkemarkt in den Briefkasten für die Tafel zu werfen. Damit hilft man mit einem kleinen Betrag hoffentlich vielen. Und das gibt ein gutes Gefühl beim Einkauf: Ich habe nicht nur an mich gedacht.
Gabi Richter hat einen Weg für sich gefunden: Ja, wir vergeben uns nichts, wenn wir im christlichen Sinne menschlich handeln und stehen uns da trotzdem oft im Weg. Ich habe für mich einen neuen Weg gefunden, Menschen zum Strahlen zu bringen und ihnen Wertschätzung zu zeigen: Ich habe immer kleine Holzherzen dabei und verschenke sie mit einem Dankeschön an Menschen, die mir mit ihrem Verhalten guttun: An Kassierer:innen, an Schaffner:innen, an Kellner:innen, an Musik machende Menschen auf der Straße, an Busfahrer:innen, an ... Für mich eine Möglichkeit, etwas mehr Licht und Freundlichkeit in die Welt zu tragen. Es macht Empfänger und Geber gleichsam glücklich. Vielleicht etwas zum Nachahmen.
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Wir hoffen, unser Newsletter die andere zeit hat Ihnen gefallen. Die korrekte Antwort in unserem Quiz ist übrigens C. Die elf Flammen im Wappen verweisen auf 11 000 Jungfrauen, die vor den Toren Kölns während einer Wallfahrt gestorben sein sollen. Die christliche Legende stammt aus dem 4. Jahrhundert. Ursula von Köln, die Heilige Ursula, soll eine von ihnen gewesen sein. Der 21. Oktober ist ihrem Gedenken gewidmet.
Falls Sie Ideen, Fotos oder Beiträge für einen der nächsten Newsletter beisteuern möchten, freuen wir uns darüber unter newsletter@anderezeiten.de. Herzlich Ihr Andere Zeiten-Team
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